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SÛTRAKRIGA.

ERSTES BUCH[1].

Fünfzehnte Vorlesung,

genannt
DIE YAMAKAS[2].
Was Vergangenheit ist, Gegenwart und zu kommen, all dies ist dem Führer, dem Erretter bekannt, der die Hindernisse zum richtigen Glauben vernichtet. (1)

Der Vernichter von Zweifel kennt das unvergleichliche (Gesetz); er, der Erklärer des unvergleichlichen (Gesetzes), ist nicht zu dieser oder jener (ketzerischen Lehre) geneigt. (2)

Auf diesen oder jenen (Beitrag des Glaubensbekenntnisses hat er) die fehlerfreie Ansicht; daher wird er zu Recht als ein echter (Mann) genannt; er, der immer die Wahrheit besitzt, ist gütig gegen seine Mitgeschöpfe. (3)

Sei nicht bösartig zu deinen Mitgeschöpfen: das ist das Gesetz von ihm, der reich in (Selbst-)Kontrolle ist; er, der reich in (Selbst-)Kontrolle verzichtet auf alles, und in dieser (Welt meditiert über die) Betrachtungen über Leben[3]. (4)

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Er, dessen Seele durch Meditation über diese Betrachtungen gereinigt wird, wird verglichen mit einem Schiff im Wasser; wie ein Schiff das Ufer erreicht, gelangt er über Elend. (5)

Ein weiser Mann gelangt über es, der die Sünden dieser Welt kennt; sündvolle Handlungen von ihm sind losgeworden, der keinerlei neue Handlungen unternimmt. (6)

Er, der keinerlei neue Handlungen unternimmt, erwirbt keinen Karman, und er versteht wahrlich (Karman); es verstehend wird er ein Großer Held[4], der nicht (wieder) geboren wird und nicht stirbt. (7)

Ein Großer Held, der kein Karman hat, stirbt nicht .-- Wie der Wind ein Licht erlischt, (so legt er nach unten) die lieblichen Frauen in dieser Welt. (8)

Diejenigen Männer, welche Frauen nicht verführen, schätzen Môksha am meisten, diejenigen Männer sind aus der Knechtschaft befreit und begehren nicht Leben. (9)

Abwendend von weltlichem Leben, erreichen sie das Ziel durch fromme Handlungen; durch ihre frommen Taten, werden sie geleitet (in Richtung Befreiung), und sie zeigen den Weg an andere. (10)

Die Verkündigung des Gesetzes (hat unterschiedliche Wirkung) auf verschiedene Geschöpfe, wer reich ist an (Selbst-)Kontrolle, wird treated with honour mit Ehre[5] behandelt, aber kümmert sich nicht darum; er bemüht sich selbst, bändigt seine Sinne, ist standhaft, und enthält sich von Geschlechtsverkehr. (11)

(Er darf nicht Versuchungen nachgeben wie ein Schwein, welches) von Wildreis gelockt wird, erprobt gegen die Sünde seiend und frei von Fehlern. Frei von Fehlern seiend

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bändigt er immer seine Sinne, und erreicht die unvergleichliche Abtretung von Karman[6]. (12)

Die unvergleichliche (Selbst-Kontrolle) kennend, sollte er nicht feindlich sein gegen irgendjemanden, in Gedanken, Worten oder Taten, Augen habend (um alles zu sehen). (13)

Er ist wirklich das Auge von Menschen, die (Nachdruck legen, so zu sprechen) am Ende[7] von Begierde, an dessen Ende (d.h. Kante) gleitet das Rasiermesser, an seinem Ende (d.h. Rand) rollt das Rad[8]. (14)

Because the wise use the ends (of things, ie bad food, &c.), they are called 'makers of an end' here. Da die Weisen[9] die Enden (der Dinge, d.h. schlechtes Essen, usw.) verwenden, werden sie hier als "Macher von einem Ende" genannt. Hier in der Welt der Menschen sind wir Menschen um das Gesetz zu erfüllen. (15)

In diesem Glaubensbekenntnis, welches die Welt übertrifft, (Männer) werden vervollkommnete Heilige oder Götter, wie ich gehört habe; und ich habe gehört, dass außerhalb der Klasse der Männer dies nicht so ist[10]. (16)

Einige (Ketzer) haben gesagt, dass sie (nämlich die Götter) ein Ende dem Elend[11] setzen; aber andere (Gainas) haben wiederholt gesagt, dass dieser (menschliche) Körper nicht so leicht erworben wird[12]. (17)

Für jemand, dessen Seele (das menschliche Leben) verlassen hat, ist es nicht einfach wieder Unterricht (im Gesetz) zu erhalten, noch ist solch eine geistige Gesinnung, welche sie erklären für die Annehme des Gesetzes geeignet [13]. (18)

Wie kann es sogar vorgestellt werden, daß er

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wieder geboren wird, der das reine, vollständige, beispiellose Gesetz bekundet, und ein Behälter für das unvergleichliche Gesetz ist? (19)

Wie könnten die Weisen Tathâgatas[14] von neuem geboren werden, die Tathâgatas, die sich in keinen Unternehmen beschäftigen, das höchste, das Auge der Welt? (20)

Und es war durch den Kâsyapa die höchste Bedingung erklärt worden[15], durch Verwirklichung dessen, einige glückliche und weise Männer hervorragende Leistung erreichen. (21)

Ein weiser Mann, der Stärke (in Selbst-Kontrolle), welche zur Sühne der Sünden führt, gewonnen hat, vernichtet seine früheren Werke, und macht keine neue. (22)

Der Große Held macht keine Handlungen, die die Auswirkungen von früheren Sünden sind. Durch seine Handlungen ist er (auf Môksha) gerichtet, verzichtend auf Arbeiten, die durch Geburt mit sich gebracht werden[16]. (23)

Das, was alle Heiligen hoch schätzen (nämlich Selbst-Kontrolle); zerstört den Dorn (nämlich Karman)[17]; es ausübend sind einige befreit worden, und andere sind Göttern geworden. (24)

Es hat weise Männer gegeben, und es wird fromme Männer geben, die bis zum Ende gekommen sind und das Ende des schleierhaften[18] Pfades offenbar gemacht habend, befreit worden sind. (25)

So sage ich.

Ende der fünfzehnten Vorlesung genannt "DIE YAMAKAS"

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[1] Srutaskandha. Sein Sanskrit-Titel erwähnt durch Sîlâka ist Gâthâshô dasaka, d.h. das Buch, dessen Sechzehnte Vorlesung Gâthâ genannt wird. Es ist erwähnt in der Uttarâdhyayana XXXI, 13 durch den Namen der sechzehn Gâthâs, siehe oben, SEITE 182.

[2] Diese Vorlesung ist aus seinen einleitenden Worten gamaîyam benannt worden, was auch bedeutet, bestehend aus yamakas (vgl. Zeitschrift der Deutschen Orient-Gesellschaft, vol. XL, SEITE 101). Denn in dieser Vorlesung öffnet jede Strophe oder Zeile mit einem wiederholten Wort aus dem Ende der vorhergehenden. Dieser Kunstgriff wird technisch srikhala-Yamaka genannt, oder Kette-yam aka, ein Begriff, welcher in einem anderen Namen unserer Vorlesung enthalten zu sein scheint, erwähnt durch den Autor des Niryukti (Vers 28), nämlich âdâniya-sakaliyâ. Denn sakaliyâ ist das Prâkrit für srikhala (z.B. in unserem Text I, 5, 2, 20), obwohl Sîlâka es hier fälschlich sakalita übersetzt; und âdâniya selbst wird als ein Name von unserer Vorlesung verwendet.

[3] Dies sind die zwölf bhâvanâs oder Betrachtungen über die Nichtigkeit des Lebens und der Welt im Allgemeinen und über die Vortrefflichkeit des Gesetzes, usw.

[4] Mahâvîra

[5] Pûyanâsaê, erklärt durch pûganâ-âsvâdaka. Ich sollte lieber pûgâ-nâsaka vorziehen, wer die Verehrung von Göttern abschaffte, in welchem Fall das folgende Wort anâsaê = an-âsaya übersetzt werden könnte: "Er macht keine Pläne".

[6] Sandhipattê. Sandhi wird erklärt Karmavivaralakshanam bhâvasandhim.

[7] Es gibt eine Anspielung auf das Wort "Ende" in diesem und im nächsten Vers, der einem modernen Geist mehr nach dem Absurden als dem Tiefgründigen schmeckt. [Die Anspielung ist vom Kommentator HJ bemerkt worden, jedoch nicht die Hauptbedeutung zum Ende der weltlichen Existenz, als die Aufgabe von weltlichen Handlungen, Kauf-Verkauf, Arbeit für andere, Bindungen, um ein Einzel-Leben als Bettler, unerkannt umherwandernd zu führen; nur für den der Môksha in diesem Leben aus selbst gewählten Gründen der Unvollkommenen-Aufgabe an Bindungen nicht erreicht hat, bleibt die letzte Bedeutung von Ende als das Ende am Schluss des Lebens, das im Âkârâga Sûtra I, 7, 8, 7 ff. ausführlich beschrieben wird. Siehe Teil I, SEITE 75 f.( ΑΏ)]

[8] Die Aufgabe von Begierde scheint hier die letzte Prüfung zu sein, dem Rad der Wiedergeburt zu entkommen. ΑΏ

[9] Das Original hat hier Singular, doch wie der Übersetzer HJ in der Einleitung schon erklärte, wurden in den alten Texten Singular und Plural häufig vermischt. ΑΏ

[10] Vollkommenheit kann nicht von anderen Geschöpfen als Männer erzielt werden.

[11] D.h. endgültige Glückseligkeit erreichen

[12] Weshalb wir uns in diesem Leben bemühen müssen, keine lebenden Wesen zu verletzen, zu töten, dulden, dass sie getötet werden, usw., frei von den Leidenschaften werden, die Guptis und Samitis einhalten, die 46 Fehler vermeiden, usw., ansonsten wir all die Leiden, die wir den lebenden Wesen zugefügt hatten, selbst erleiden müssen in ebenso vielen Wiedergeburten in anderen Körpern, als dem menschlichen. ΑΏ

[13] Die Worte, wie sie erhalten sind, lassen sich nicht auslegen; die Bedeutung, jedoch, muss ungefähr das gewesen sein, was ich in meiner Übersetzung gegeben habe.

[14] Tîrthakara, vgl. Sûtrakriga I, 13, SEITE 320 Vers 2, Anm. 2

[15] Nämlich (Selbst-)Kontrolle.

[16] Gammayam. Die Kommentatoren erklären es yan matam; aber ich denke es ist = ganmagam.

[17] Vgl. die verschiedene Art der Metapher bei den Sufi’s, wo der Dorn der Rose mit dem islam. Gesetz, der Scharia, versinnbildlich wird. Das Gesetz der Gainas erweckt nie den Eindruck eines Dorns, das eigene Karman wird hier jedoch als Dorn bezeichnet, was man in den Texten auch deutlich als solchen erkennen und begreifen kann. ΑΏ

[18] Jeder Fehler den jemand macht, legt sich wie ein Vorhang vor das Licht der Wahrheit, der diese je nachdem mehr oder weniger verdunkelt. ΑΏ