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SÛTRAKRIGA.

ERSTES BUCH[1].

Zehnte Vorlesung,

genannt
ACHTSAMKEIT[2].

Der Weise (Arhat) nachgedacht habend über das Gesetz verkündete es; lerne von mir richtig, was Achtsamkeit ist. Ein Mönch, der keine Entschlüsse formt und im Besitz von Achtsamkeit ist, sollte umherwandern, keinen Anstoss irgendeinem Geschöpf gebend; (1)

Zu keinem Lebewesen, ob sie sich bewegen oder nicht, ob über oder unter oder auf der Erde, durch eine Belastung auf sie stellend, durch seine Hände oder Füße[3]. Noch sollte er von Haushaltsvorständen irgendetwas nehmen, was nicht frei gegeben ist. (2)

Nachdem er das Gesetz gemeistert hat und von Achtlosigkeit losgekommen ist, sollte er leben von erlaubter Nahrung[4], und alle Wesen behandeln

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alle Wesen, wie er selbst behandelt werden möchte[5]; er sollte sich nicht Schuld aussetzen, durch sein Verlangen nach Leben; ein Mönch, der Enthaltsamkeit ausübt, sollte nicht irgendeinen Vorrat halten. (3)

Seine Sinne von Frauen einschränkend, sollte ein Weiser frei von allen weltlichen Bindungen umherwandern. Sieh, jedes Geschöpf und jedes Wesen leidet Schmerzen und wird geplagt. (4)

Diesen Wesen Leid zufügend, wird ein unwissender Mensch in Sünden verwickelt. Sünde wird begangen durch (Wesen) verletzen, und man sündigt auch durch Beschäftigung anderer (in solchen Handlungen). (5)

Auch er, der ein elendes Leben führt, begeht Sünde. Deshalb haben (die Ginas) gründliche Achtsamkeit vorgeschrieben. Man sollte die Wahrheit wissen, sich an der (Selbst-) Kontrolle und gesundem Urteilsvermögen erfreuen, aufhören mit Wesen verletzen, und von geregelter Vernunft sein. (6)

Betrachtend alle Leute mit einem unparteiischen Geist, sollte man nicht irgendetwas tun, um ihnen zu gefallen oder zu schädigen. Nach einem tugendhaften Beginn werden einige übel und verlieren den Mut, (da) sie Ehre und Ruhm begehren. (7)

Begehrend unerlaubte[6]  Nahrung und der Annahme solcher, der Sünder, achtlos in seinem Verhalten, ist verbunden mit Frauen, und versucht Eigentum zu erwerben. (8)

Gegeben zu gewaltsamen Taten, sammelt er (Karman); auf sein Hinscheiden (stösst er auf) wirklich plagendes Elend. Daher betrachtet ein weiser Mann gut das Gesetz, ein Weiser wandert frei umher, frei von allen weltlichen Bindungen. (9)

Er sollte sich nicht der Schuld aussetzen, durch sein Verlangen nach Leben, aber er sollte ohne jede Anbindung umherwandern. Sprechen nach reiflicher Überlegung,

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und bekämpfend seine weltlichen Begierden, sollte er nichts sagen, dass Tötung von lebenden Wesen einbezieht. (10)

Er sollte nicht unerlaubte Nahrung begehren, und er sollte nicht mit Menschen verkehren, die solche begehren; er sollte sich selbst kasteien, denkend (an seine Pflicht), und aufgebend seine Sorgen ohne Rücksicht (auf weltliche Interessen). (11)

Versuche zu verwirklichen, dass du ledig bist und allein; damit du Befreiung erreichst;  habe acht, dies ist keine falsche Behauptung! Diese Befreiung ist nicht irgendetwas unwirkliches, aber die beste Sache. Ein Asket ist frei von Zorn, und entfreut in der Wahrheit. (12)

Sich enthalten von Geschlechtsverkehr mit Frauen, erwirb nicht Eigentum; ein Mann im Besitz von Achtsamkeit wird, ohne Zweifel, ein Retter (für andere) unter allen Umständen. (13)

Ein Mönch nachdem er Abneigung gegen (Selbst-) Kontrolle und die Freude an sinnlichen Objekten[7] besiegt hat, sollte alle durch (stechendes) Gras, Kälte, Hitze und Insekten bewirkten Mühseligkeiten ertragen; er sollte angenehme und unangenehme Gerüche dulden. (14)

Bewachend seine Rede und im Besitz von Achtsamkeit, erwerbend (reine) Les[8], sollte er umherwandern; er sollte nicht ein Haus für sich selbst oder für andere mit Stroh decken, noch sich gegenüber anderen Menschen wie ein Haushaltsvorstand benehmen. (15)

Befragt von jemandem, der den unveränderbaren Charakter der Seele[9] aufrecht erhält, sollte er die wahre (Lehre darlegen); diejenigen, die sich in Arbeiten beschäftigen und

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in weltlicher Knechtschaft festgehalten werden, kennen das Gesetz nicht, das zur Befreiung führt. (16)

Menschen haben hier verschiedene Meinungen; (sie kleben) an der Lehre der Kriyâvâdins und Akriyâvâdins[10]. Die Bosheit eines hemmungslosen Sünders, der, nachdem er geboren worden ist, dem Körper (von Wesen um sein eigenes Glück zu beschaffen) schadet, geht zunehmend weiter. (17)

Vergessend, dass sein Leben ein Ende haben wird, ist ein unbesonnener und törichter Mensch voller Selbstsucht; er rackert sich Tag und Nacht ab, gierig nach Wohlstand, als ob er nie alt wird oder stirbt. (18)

Lasse Wohlstand und Rinder, alle Beziehungen und liebe Freunde! (Ein Mann) spricht immer (über diese Dinge), und er ist verblendet von ihnen; aber andere Leute werden seinen Reichtum wegnehmen. (19)

Wie kleinere Tiere einen Abstand von einem Löwen halten, sich vor ihm fürchtend, so hält sich ein weiser Mann fern von Sünde, gut das Gesetz berücksichtigend. (20)

Ein weiser Mann, der erweckt worden ist, sollte (sich) von der Sünde abwenden, wenn er das Böse bedenkt, das von Schlachten herrührt und die große Gefahren auf sich bürdet durch seine grausame Gesinnung. (21)

Ein Weiser auseinandersetzend für das wirklich Gute[11] (nämlich Befreiung), sollte nicht Unwahrheit sagen; diese (Regel, sagen sie,) umfasst Nirvâna und das Ganze von Achtsamkeit. He should not do works, nor cause others to do them, nor assent to others doing them. Er soll nicht Arbeiten tun, noch andere dazu anstiften, sie zu tun, noch anderen zustimmen sie zu tun. (22)

Wenn er rein (Essen) erhält, sollte er nicht (durch Liebe oder Haß) beeinträchtigt werden, und er sollte nicht zu

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sehr (solche Nahrung) mögen, noch sich nach ihr sehnen. Ein frommer Mönch, frei von Bindungen, sollte umherwandern weder Ehre noch Ruhm begehrend. (23)

A monk who has left the house and is free from desires should abandon his body, annihilating his sins; he should not desire life nor death, and walk about, having got beyond the Circle (of Births) Ein Mönch, der das Haus verlassen hat und frei von Wünschen ist, sollte seinen Körper verlassen, vernichtend seine Sünden; er sollte weder Leben noch Tod wünschen, und umhergehen, nachdem über den Kreis (von Geburten) gelangt[12].  (24)

So sage ich.

Ende der zehnten Vorlesung genannt "ACHTSAMKEIT"

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[1] Srutaskandha. Sein Sanskrit-Titel erwähnt durch Sîlâka ist Gâthâshô dasaka, d.h. das Buch, dessen Sechzehnte Vorlesung Gâthâ genannt wird. Es ist erwähnt in der Uttarâdhyayana XXXI, 13 durch den Namen der sechzehn Gâthâs, siehe oben, SEITE 182.

[2] Samâhi = samâdhi. Dieses Wort hat nicht nur den Begriff "Meditation", sondern auch ein wesentlich breiteren. Hier ist es als "Mittel zur Erlangung von Môksha erklärt". Ich habe "Achtsamkeit" gewählt, denn es ist weniger technisch als "Kontrolle", welches ich an anderen Orten verwendet habe.

[3] Der erste Teil von Vers 2 ist mit dem letzten Teil des vorangehenden Verses ausgelegt zu werden.

[4] dhe

[5] vgl. 3.Mose 19,18; Mt 22,39; Mk 12,33; Lk 6,27; Röm 13,9; (ΑΏ)

[6] Ahâgada = yathâkrita, vgl. Uttarâdhyana SEITE 131, Anm. 1 (mit Querverweis zu SEITE 165) und Anm. 7 (Die 46 Fehler vermieden zu werden).

[7] Dies ist nach Sîlâka, die Bedeutung der Worte araim raim vâ, siehe jedoch Uttarâdhyayana Sûtra, SEITE 111, Anm. 1.

[8] Siehe Uttarâdhyayana, Vorlesung XXXIV

[9] Akiriyaâyâ = akriyâtman

[10] Siehe Uttarâdhyayana, SEITE 83, Anm. 2 und Sûtrakriga Sûtra, SEITE 242, Anm. 3

[11] Attagâmî = âptagâmin. Âpta ist entweder Môksha wie in meiner Übersetzung angenommen, oder es steht für die "höchste Autorität"; im letzterem Fall können wir übersetzen: "Wer sich auf den richtigen Weg begibt".

[12] Oder, die Fessel der Sünde