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Was ist der Pfad, der durch die weisen Brâhmana[2] (d.h. Mahâvîra) gepredigt worden ist, nachdem richtig eingetreten, auf welchem Pfad durchquert ein Mensch die Flut (von Samsâra), die nur schwer zu durchgehen ist? (1)
O Mönch und großer Weise, erzähle uns diesen besten Pfad, der zur Befreiung von allem Elend führt, wie du ihn kennst! (2)
Erzähl uns, wie wir diesen Weg zu beschreiben sollten, wenn jemand, ein Gott oder ein Mann, uns darüber fragen sollte! (3)
Wenn jemand, ein Gott oder ein Mann, dich darüber fragt, sag ihnen die Wahrheit über den Pfad. Hör mir zu! (4)
Dem sehr schwierigen (Pfad), erklärt durch den Kâsyapa, folgend, welchen einige Menschen von dieser Erde
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bisher durchgegangen sind. (Der Samsâra), wie Händler über den Ozean[3] , ihn passieren (selbst jetzt), und ihn in Zukunft passieren werden; (diesen Pfad, den) ich gelernt habe, werde ich in gebührender Reihenfolge erklären, Menschen, hört mir zu! (5, 6)
Erd-Leben sind individuelle Wesen, so sind Wasser-Leben, Feuer-Leben, und Wind-Leben; Gras, Bäume, Getreide; (7)
Und die verbleienden, (nämlich) die beweglichen Wesen; so sind die sechs Klassen von lebenden Wesen aufgezählt; diese sind alle lebenden Wesen, daneben gibt es keine mehr. (8)
Ein weiser Mann sollte sie studieren mit allen Mitteln der philosophischen Forschung. Alle Wesen hassen Schmerzen, deshalb sollte man sie nicht töten. (9)
Dies ist die Quintessenz der Weisheit: nicht irgendetwas zu töten. Wisse dies die legitime Folgerung aus dem Prinzip der Gegenseitigkeit im Hinblick auf Nicht-Töten zu sein[4]. (10)
Er sollte aufhören lebende Wesen zu verletzen, ob sie sich bewegen oder nicht, nach oben, unten, und auf Erden. Denn dies ist Nirvâna genannt worden, welches in Frieden besteht[5]. (11)
Meister (seiner Sinne) und unrechtes vermeidend, sollte er keinen Schaden irgendjemandem tun, weder durch Gedanken, noch Worte, noch Handlungen. (12)
Ein weiser Mann, der seine Sinne in Schranken hält und über großes Wissen verfügt, sollte solche Dinge die ihm frei gegeben werden annehmen, immer umsichtig im Hinblick auf die Annahme von Almosen zu sein und enthaltend von dem, was er verboten ist anzunehmen. (13)
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Ein wahrer Mönch sollte nicht solche Nahrung und Getränk annehmen wie speziell für ihn einher mit Schlachtung von lebenden Wesen vorbereitet worden ist. (14)
Er sollte nicht teilnehmen an einer Mahlzeit, die nur ein Teilchen von verbotener Nahrung enthält[6]: dies ist das Gesetz von ihm, der reich an (Selbst-) Kontrolle ist. Welche (Nahrung) auch immer (ein Mönch) verdächtigt (unrein zu sein), kann er nicht essen. (15)
Ein Mann, der seine Seele schützt und seine Sinne bändigt, sollte nie irgendjemandem zustimmen Wesen zu töten. -- In Städten und Dörfern (werden) Fälle (auftreten, welche) den Gläubigen (in einem Dilemma versetzen)[7]. (16)
Das Gerede von Menschen hörend, sollte man nicht sagen, "dies ist eine gute Handlung", noch "dies ist eine schlechte Handlung". Denn es ist ein Widerspruch (zu jeder Antwort)[8]. (17)
Er sollte nicht sagen, dass es verdienstvoll ist, weil er jene Lebewesen retten sollte, ob sie sich bewegen oder nicht, welche getötet werden um das Geschenkmachen willens. (18)
Auch sollte er nicht sagen, dass es nicht verdienstvoll ist, weil er dann verhindern würde jenen, um derentwillen die Speisen und Getränke in Frage vorbereitet wird, zu ihrem Recht kommen. (19)
Jene, die die Gabe loben, sind mitschuldig[9] der Tötung von Lebewesen; diejenigen, die es verbieten, berauben (andere) der Mittel des Lebensunterhalts. (20)
Diejenigen aber, die weder Antwort geben, nämlich
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dass es verdienstvoll ist, oder nicht so ist, setzen sich selbst nicht Schuld aus, und werden Seligkeit erreichen[10]. (21)
Wissend, dass Glückseligkeit das beste Ding ist, wie der Mond unter den Sternen, bringt ein immer zurückhaltender und seine Sinne bändigender Weiser Seligkeit zuwege. (22)
Ein frommer Mann[11] zeigt den Wesen, die weggetragen werden (von der Flut des Samsâra) und für ihre Taten leiden, eine Insel. Dieser Sicherheitsort ist (von den Tîrthakaras) verkündet worden. (23)
Er der seine Seele schützt, seine Sinne bändigt, dem Lauf (des Samsâra) einen Riegel vorschiebt, und frei von Âsravas[12] ist , ist (berechtigt) das reine, vollständige, unvergleichliche Gesetz (zu) erläutern. (24)
Diejenigen, die dieses (Gesetz) nicht kennen, sind nicht erweckt, obwohl sie sich selbst erweckt wähnen; sich selbst erweckt glaubend, sind sie jenseits der Grenze des rechten Glaubens[13]. (25)
Samen essend und kaltes Wasser[14] trinkend und was
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speziell für sie vorbereitet worden ist, gehen sie auf Meditation[15], sind aber unwissend von der Wahrheit, und besitzen Achtsamkeit nicht. (26)
Wie dhaṅkas, Reiher, Fischadler, Kormorane, und Fasane über Fischfang meditieren, (was) eine sündhafte und sehr niedere Meditation ist, so betrachten einige ketzerische, unwürdige Sramanas das Streben nach Vergnügen; (sie sind) sündhaft und sehr niedrig wie Reiher. (27, 28)
Hier treten einige Willensschwache, den reinen Weg missbrauchend, auf einen falschen Weg ein. Sie werden dabei in Elend und Zerstörung gehen. (29)
Wie ein blind geborener Mensch in ein undichtes Boot gelangend das Ufer erreichen will, aber während der Überfahrt ertrunken ist[16]; so werden sich einige unwürdige, ketzerische Sramanas, nachdem sie in den vollen Strom (des Samsâra) gelangt sind, große Gefahr zuziehen. (30, 31)
Aber dieses Gesetz wissend, das vom Kâsyapa verkündet worden ist, durchquert (ein Mönch) den schrecklichen Strom (des Samsâra) und wandert auf das Wohl seiner Seele bedacht umher. (32)
Ununterschiedlich gegenüber weltlichen Objekten, sollte ein Mann umherwandern alle Geschöpfe in der Welt so behandelnd, wie er selbst behandelt werden möchte. (33)
Ein weiser Mann wissend (und verzichtend auf) übermäßigen Stolz und Täuschung, (kurz) aufgebend alle (Ursachen von weltlicher Existenz), bringt seine Befreiung zustande[17]. (34)
Er erwirbt gute Eigenschaften, und lässt ab von schlechten Eigenschaften; ein Mönch, der nachhaltig Askese ausübt, vermeidet Zorn und Stolz. (35)
Die Buddhas[18], die waren, und die Buddhas, die
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sein werden, sie haben (sozusagen) Frieden als ihre Grundlage, genau wie alle Dinge die Erde als ihre Grundlage haben. (36)
Und wenn irgendwelche Unfälle, welche auch immer ihm widerfahren, der diese (Grundlage) gewonnen hat, wird er nicht von ihnen überwältigt werden, wie ein Berg durch den Sturm[19]. (37)
Ein zurückhaltender, sehr gelernter und weiser (Mönch) sollte solche Almosen anzunehmen, wie ihm frei gegeben werden, frei von Leidenschaften werdend und auf sein Ende wartend. Dies ist die Lehre des Kêvalin. (38)
So sage ich.
Ende der elften Vorlesung genannt "DER PFAD"
nächste SEITE ZWÖLFTE VORLESUNG genannt "DAS GLAUBENSBEKENNTNIS"
[1] Srutaskandha. Sein Sanskrit-Titel erwähnt durch Sîlâṅka ist Gâthâshô dasaka, d.h. das Buch, dessen Sechzehnte Vorlesung Gâthâ genannt wird. Es ist erwähnt in der Uttarâdhyayana XXXI, 13 durch den Namen der sechzehn Gâthâs, siehe oben, SEITE 182.
[2] Siehe Fußnote auf IX, 1
[3] Das gleiche Gleichnis kommt auch in I, 3, 4, 18, oben SEITE 271 vor.
[4] Derselbe Vers trat auf Sûtrakritâṅga Sûtra I, 1, 4, Vers 10, SEITE 247-248.
[5] Wir haben den gleichen Vers oben gehabt, Sûtrakritâṅga Sûtra I, 3, 4, Vers 20, SEITE 271.
[6] Dies ist die Bedeutung des Satzes pûtikarma na sêvêta.
[7] Wenn wohlmeinende Menschen eine Reuse (Fischfalle) versenken, ein Opfer bringen (das Fleisch usw., enthält), oder Leute füttern (mit Nahrung, die Fleisch usw., enthält), usw.
[8] Der Sinn dieses Satzes ist im Zusammenhang vom vorigen Vers 16 mit den nachfolgenden Sätzen zu erkennen. Es geht darum, dem Töten von Lebewesen auch dann nicht zuzustimmen, wenn dies für einen guten Zweck gemacht wird.
[9] Wörtlich wünschen
[10] Sîlâṅka nennt die folgenden Sanskrit Vers, um die Anwendung der Maxime, zum Graben eines Brunnens zeigt: satyam vaprêshu sîtam sasikaradhavalam vâri pîtvâ prakâmam vyukkhinnâsêshatrishnâh pramuditamanasah prânisârthâ bhavanti | sôsham nîtê galaughê dinakarakiranair yânty anantâ vinâsam tênôऽdâsînabhâvam vragati muniganah kûpavaprâdikârvê || "Fürwahr, wenn lebende Wesen nach Herzenslust das kühle Wasser von Gräben trinken, das weiß wie der Mond ist, ist ihr Durst vollständig gestillt und ihr Herz ist erfreut; aber wenn all das Wasser durch die Strahlen der Sonne ausgetrocknet wird, müssen unzählige Kreaturen sterben; deshalb lehnen die Weisen jedes Interesse am Bau von Brunnen und Gräben ab."
[11] Die Kommentatoren verbinden sâhu als Adjektiv mit dîvam, und liefern Tîrthakara, usw. als Subjekt.
[12] Siehe Uttarâdhyayana, SEITE 55, Anm. 1
[13] Samâdhi
[14] Vîôdaga = bîgôdaka
[15] Vgl. Sûtrakritâṅga Sûtra I, 3, 3, SEITE 267, Vers 12.
[16] Verse 30, 31 a = Sûtrakritâṅga Sûtra I, 1, 2, SEITE 243, Verse 31, 32 a
[17] Die erste Zeile dieses Verses kam in Sûtrakritâṅga Sûtra I, 9, Vers 36 vor
[18] Hier ist Buddha ein Synonym für Tîrthakara
[19] Sîlâṅka sagt, dass durch Ausübung die Widerstandskraft erhöht werden wird, und in Bestätigung dieses erzählt er die bekannte Geschichte vom Hirten, der täglich ein Kalb trug, von seiner Geburt bis es zwei Jahre alt war.